Einmischen, mitreden, mitgestalten!
Von Sven Lystander
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz, kurz KI, ist bereits Alltag in vielen Betrieben – damit warten neue Aufgaben auf Betriebsräte. Wichtig ist, sich frühzeitig einzumischen und die richtigen Fragen zu stellen, meint ifb-Referent Sven Lystander.
Mit künstlicher Intelligenz (KI) hatte wohl schon jeder von uns einmal zu tun: Denken Sie nur an die Wortsuche im Handy, die Filmvorschläge bei Streaming-Diensten oder den Routenplaner, der eine Alternativroute vorschlägt, um den Stau zu umgehen. Alle diese Anwendungen und Systeme haben eines gemeinsam: Sie nutzen künstliche Intelligenz.
Und in den Betrieben? KI ist vielfältig einsetzbar und hat auch hier bereits Einzug gehalten.
KI im betrieblichen Alltag
In der Logistik wird künstliche Intelligenz beispielsweise genutzt, um Routen effizienter zu planen oder unter Einsatz von Drohnen Schäden an Produkten zu analysieren.
In der Produktion werden vielfach Roboter eingesetzt, die mit menschlichen Kollegen zusammenarbeiten.
Und auf Industriemessen wie der Hannover Messe 2022 wurde die neueste Generation von Connected-Worker-Lösungen vorgestellt: Ein System, bei dem Mitarbeitern digitale Arbeitsanweisungen erteilt und diese durch KI-Algorithmen angepasst und ständig verbessert werden.
In der Dienstleistungsbranche vereinfachen Personalmanagementsysteme wie Workday, SAP SuccessFactors und PeopleSoft die Personalarbeit mit Hilfe von KI. Im Vertrieb sind gleichfalls vielfältige KI-Systeme (z. B. Salesforce) im Einsatz.
KI ist also bereits allgegenwärtig in unserem Betriebsalltag. Und die Bedeutung wird noch zunehmen, sobald auf der EU-Ebene die Verordnung über künstliche Intelligenz voraussichtlich 2023 verabschiedet und 2025 in Kraft treten wird. Dann ist ein ähnlicher Effekt wie bei der Einführung der EU-Datenschutzgrundverordnung zu erwarten: Bei Zuwiderhandlungen gegen die Regelungen drohen Bußgelder in Millionenhöhe und die Systemanpassungen werden in den Unternehmen mit Hochdruck und Hektik durchgeführt werden.
Ein Thema für den Betriebsrat!
Die oben genannten Beispiele machen es deutlich: Künstliche Intelligenz geht jeden Betriebsrat etwas an. Er hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die Aufgabe, die Einhaltung von Gesetzen, Verordnungen etc. zu überwachen. Er hat aber zugleich nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auch die Aufgabe, Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber anzuregen und durchzusetzen.
Damit ist das Handlungsfeld klar abgesteckt. Der Betriebsrat darf, ja soll sich sogar einmischen, wenn es um die Belange der einzelnen Mitarbeiter geht. Und das ist bei der Verwendung von KI in der Regel der Fall.
Ein Beispiel aus der Praxis
Deutlich wird dies anhand eines Beispiels aus der Buchhaltung eines großen deutschen Logistikkonzerns mit Sitz in Berlin. Dort wird seit zwei Jahren in der Buchhaltung künstliche Intelligenz eingesetzt: Kunden-Mails und Eingangsrechnungen werden anhand von KI sortiert und es erfolgt eine automatische Mahnstufenpflege. Sukzessive wird der Einsatz von Computerprogrammen ausgebaut, die Aufgaben automatisiert abarbeiten (sogenannte Bots).
Das Problem: Die Mitarbeiter wurden auf diesem Weg nicht mitgenommen, der Betriebsrat nur kurz informiert, aber nicht umfassend beteiligt. Gleichzeitig gibt es Gerüchte, dass innerhalb der nächsten Jahre ein Personalabbau von ca. 30 % der Belegschaft geplant ist!
Was kann ein Betriebsrat in einer solchen Situation tun?
Vor allen Dingen kann er sich einmischen!
Im geschilderten Fall führt die Verwendung der künstlichen Intelligenz zwar zunächst dazu, dass die Mitarbeiter von einfachen Tätigkeiten entlastet werden. Danach warten aber andere, ggf. intensivere, Arbeitsaufgaben auf sie. Zugleich stehen künftig weniger Kollegen für genauso viele oder sogar mehr Aufgaben zur Verfügung. Da die Belegschaft auf diesem Weg nicht mitgenommen wurde, wächst die Unzufriedenheit unter den Kollegen und die Unsicherheit nimmt zu.
Um die Situation zu verbessern, kann der Betriebsrat von seinen vielfältigen Beteiligungsrechten Gebrauch machen. Dabei hilft ein strukturiertes Vorgehen:
Im ersten Schritt geht es darum, herauszufinden, was wann und wie konkret geplant ist. Welche KI wird eingesetzt und wie wirkt diese? Hierbei helfen dem Betriebsrat die Beteiligungsrechte aus den §§ 80, 90, 92, 92a,106 und 111 BetrVG. Er kann vielfältige Auskunftsrechte geltend machen und in den Dialog mit dem Arbeitgeber eintreten.
Ein zweiter Schritt könnte darin bestehen, konkrete Forderungen und Verbesserungen einzufordern und diese mit dem Arbeitgeber zu beraten. Hier würden sich z. B. folgende Maßnahmen anbieten:
- Einbinden der Mitarbeiter in die geplanten Maßnahmen
- Information und Einweisung in die neuen Aufgabenbereiche
- Qualifizierung der Mitarbeiter für ihre neuen Aufgaben
Zugleich sollte sichergestellt werden, dass keine Leistungsverdichtung stattfindet und ein Personalabbau nicht oder zumindest nicht in dem vorgesehenen Maße erfolgt.
Dies setzt als dritten Schritt eine intensive Beratung und Verhandlung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber voraus. Und sollte als vierten Schritt zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung führen. Um seine Forderungen durchzusetzen, helfen dem Betriebsrat seine vielfältigen Mitbestimmungsrechte, z. B. die in den §§ 87 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7, 91, 95, 97, 98 und 112 BetrVG genannten.
Sonderfall Personalmanagement und KI
Gerade im Personalmanagement wird KI immer öfter genutzt. Wird bei Ihnen z. B. eine neue Software eingeführt, um das Personalmanagement zu erleichtern, sollten Sie als Betriebsrat aufhorchen. Informieren Sie sich frühzeitig über die Möglichkeiten der KI und analysieren und minimieren Sie die Risiken für die Belegschaft.
Da die erfolgreiche Anwendung der KI davon lebt, dass eine Software mit den richtigen Daten „gefüttert“ wird, sollten Sie als Betriebsrat auch darauf achten, dass die KI-Software mit qualitativ hochwertigen Datensätzen gespeist wird. Wenn z. B. ein Unternehmen aus dem Pflegebereich Krankenpfleger sucht, muss bei der Nutzung von Datensätzen auf die Geschlechterverteilung in der Branche geachtet werden. Nur wenn der Algorithmus darüber „informiert“ wird, dass mehr als 70 Prozent der Mitarbeiter weiblich sind, kann er diese Information entsprechend berücksichtigen. Andernfalls wählt die KI bevorzugt oder sogar ausschließlich weibliche Bewerber aus, da sie aus den erhaltenen Daten schließt, dass die meisten Mitarbeiter in der Krankenpflege weiblich und männliche Bewerber daher ungeeignet sind.
In solchen Fällen können Sie als Betriebsrat gut und zielgerichtet gegensteuern, indem Sie sich frühzeitig einmischen und die richtigen Fragen stellen. Typische Fragestellungen könnten etwa sein:
- Wurde die KI mit qualitativ hochwertigen Datensätzen gespeist, um Diskriminierung zu vermeiden?
- Wie ist dies nachprüfbar?
- Wie erfolgt eine Dokumentation des KI-Systems und seines Zwecks?
- Wie wird der Betriebsrat in die Entwicklung des Systems eingebunden?
- Welche Auswirkungen sind durch die Anwendung der KI bei den Beschäftigten zu erwarten (Auswirkungen auf Aufgaben, Arbeitsabläufe und psychische Belastungen)?
- Wann und mit welchem Inhalt wird hierzu eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat abgeschlossen?
Gemeinsame Lösungen mit dem Arbeitgeber
Auf den ersten Blick wirkt das Thema künstliche Intelligenz komplex und schwer greifbar. Dennoch können Sie auch den Einsatz von KI als Betriebsrat erfolgreich mitgestalten.
Dabei hilft auch, dass der Gesetzgeber im Sommer 2021 mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz die Rechte des Betriebsrats bei der Verwendung von KI gestärkt hat. So ist der Bereich KI im § 90 BetrVG ausdrücklich genannt und auch in § 95 BetrVG ist klargestellt worden, dass der Betriebsrat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht bei der Verwendung von KI hat.
Zudem gilt beim Thema KI die Hinzuziehung eines Sachverständigen stets als erforderlich. Als Betriebsrat sind Sie hier also nicht als einsamer Kämpfer unterwegs, sondern es gibt Dritte, die Sie unterstützen – von Bildungsträgern, die das erforderliche Know-how vermitteln bis hin zu Sachverständigen, die Ihnen helfen, Kurs zu halten und die richtigen Lösungen zu finden.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 22.11.2022 im ifb-Blog