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Betriebliches Eingliederungsmanagement – Mitbestimmung des Betriebsrats
Bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht. In Fragen des betrieblichen Eingliederungsmanagements beschränkt sich das Mitbestimmungsrecht jedoch aufgrund der Rahmenvorschrift des § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX auf die Aufstellung von Verfahrensgrundsätzen zur Klärung der Möglichkeiten, wie der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers abgeholfen und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer neuerlichen Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann.
Das entschied das Bundesarbeitsgericht (Beschluss v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14).
Ein zwischen den Betriebsparteien strittiger Einigungsstellenspruch hatte für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) die Bildung eines Integrationsteams aus je einem Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrats vorgesehen. Laut Einigungsstellenspruch sollte dieses Integrationsteam das betriebliche Eingliederungsmanagements mit dem betroffenen Arbeitnehmer durchführen, konkrete Maßnahmen diskutieren und dem Arbeitgeber entsprechende Vorschläge unterbreiten sowie den weiteren Prozess begleiten.
Die hiergegen gerichtete Klage des Arbeitgebers hatte Erfolg. Nach Auffassung der Bundesrichter habe die Einigungsstelle „ihre Zuständigkeit überschritten“. Ihr Spruch umfasse nicht lediglich die Ausgestaltung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, sondern auch die Beteiligung des Integrationsteams an der Umsetzung von Maßnahmen. Diese sei jedoch alleinige Aufgabe des Arbeitgebers.
Entlassung von Flughafen-Beschäftigten – Sozialplan ist unwirksam
Ein Sozialplan, der die Bildung einer Transfergesellschaft zur Fort- und Weiterbildung der Arbeitnehmer vorsieht, ist unwirksam, wenn darin nicht auch die Verteilung der finanziellen Mittel zur Qualifizierung geregelt wurde.
Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden (Beschluss v. 1.3.2016 – 9 TaBV 1519/15).
Die Arbeitgeberin war im Auftrag eines zum selben Konzern gehörenden Unternehmens für die Fluggastabfertigung auf dem Flughafen Berlin-Tegel zuständig. Als die Aufträge gekündigt wurden, entließ die Arbeitgeberin alle ihre Beschäftigten. Eine in diesem Zusammenhang gebildete betriebliche Einigungsstelle beschloss sodann einen Sozialplan, der vor allem die Überführung der Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft zur Fort- und Weiterbildung beinhaltete. Wie die finanziellen Mittel zur Qualifizierung verteilt werden sollten, überließ die Einigungsstelle dabei allerdings der Transfergesellschaft.
Die Richter erklärten den vom Betriebsrat angefochtenen Sozialplan für unwirksam. Indem die Einigungsstelle die Mittelverteilung nicht selbst im Sozialplan geregelt habe, sei sie ihrem gesetzlichen Regelungsauftrag nicht nachgekommen. Auch seien in dem von ihr vorgeschriebenen Vertrag einer Aufhebungsvereinbarung zum Übertritt in die Transfergesellschaft Regelungen getroffen worden, u. a. zum Ausschluss weitergehender Ansprüche, welche die Einigungsstelle nicht habe vorgeben dürfen.
Keine außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Warnung vor Entwicklungen „wie vor 70 Jahren“
Der von einem Betriebsratsmitglied im Zusammenhang mit betrieblichen Entwicklungen geäußerte Hinweis, dass „wir die Überwachung in einem totalitären Regime vor 70 Jahren hinter uns gebracht haben“ ist kein Grund für eine fristlose Kündigung.
Das entschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 4.3.2016 – 10 Ta BV 102/15).
Die klagende Arbeitgeberin betreibt ein Senioren- und Pflegezentrum. Der bei ihr seit 1994 als Altenpfleger beschäftigte A ist seit 20 Jahren als Betriebsratsmitglied tätig. Außerdem ist A Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Klinikgruppe, zu der die Arbeitgeberin gehört. Am 21.4.2015 schrieb A in einer E-Mail an den Einrichtungsleiter und Aufsichtsratsmitglieder u.a.: „…wie ich von mehreren Mitarbeitern erfahren habe, beabsichtigen Sie wöchentlich eine Überwachungskontrolle, mit technischen Gerätschaften, der Mitarbeiter in der Pflege durchzuführen. Es soll damit festgestellt werden, wie viel Zeit der Mitarbeiter benötigt, bis er dem Klingelruf des Mitarbeiters nachkommt. Hier findet eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers statt, die einen dringlichen Handlungsbedarf des Betriebsrats vorsieht gemäß einer einstweiligen Verfügung. Die Überwachung in einem totalitären Regime haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht, auch wenn hier im Kleineren gehandelt wird, so ist dies der Anfang von dem was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann.…“ Als die Arbeitgeberin daraufhin beabsichtigte, das Beschäftigungsverhältnis mit A außerordentlich zu beenden, verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung.
Den Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung dieser Zustimmung wiesen die Richter des Landesarbeitsgerichts, wie auch schon die Vorinstanz, zurück. Vergleiche ein Arbeitnehmer die betrieblichen Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Terrorregime, könne dies in der Regel eine fristlose Kündigung rechtfertigen. A habe jedoch lediglich vor möglichen zukünftigen Entwicklungen warnen und darauf hinweisen wollen, dass solche Entwicklungen von Anfang an zu beobachten seien, „bevor etwas aus dem Ruder läuft“. Solche Äußerungen seien von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt, ein Grund für eine fristlose Kündigung des A sei daher nicht ersichtlich.
Separater Telefonanschluss und Internetzugang für Betriebsrat?
Arbeitgeber müssen dem Betriebsrat zwar grundsätzlich einen Telefonanschluss und einen Internetzugang zur Verfügung stellen. Allerdings besteht keine Verpflichtung zur Einrichtung separater Anschlüsse und Zugänge, die unabhängig von der im Betrieb genutzten Telefonanlage sowie dem im Unternehmen bestehenden Netzwerk sind.
Das hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt (Beschluss vom 20. April 2016 – 7 ABR 50/14)
In dem Verfahren stritten die Beteiligten über einen separaten Telefon- und Internetanschluss für den Betriebsrat. Dessen Büro verfügt über Telefon, Mobiltelefon, PC und Laptop, wobei der Telefonanschluss zu der bei der Arbeitgeberin eingesetzten Telefonanlage gehört. Diese ermöglicht die Speicherung vollständiger Zielrufnummern sowie eine personenbezogene Auswertung. Der Internetzugang erfolgt über einen Proxyserver des Konzerns, dem die Arbeitgeberin angehört. Von dort aus kann der Zugang verwaltet und überwacht sowie der Zugriff auf bestimmte Internetadressen gezielt gesperrt werden. Da der Betriebsrat deshalb z. B. nicht auf Internetseiten wie „YouTube“ und „eRecht24“ zugreifen konnte, vertrat er die Auffassung, dass die Arbeitgeberin ihm einen separaten Telefon- und Internetzugang einzurichten habe.
Die Anträge des Betriebsrats blieben jedoch in allen Instanzen ohne Erfolg. Zwar könne der Betriebsrat nach § 40 Abs. 2 BetrVG die Zurverfügungstellung von Informations- und Kommunikationstechnik, wie etwa die Einrichtung eines Telefonanschlusses und Internetzugangs, verlangen. Diesen Anspruch erfülle ein Arbeitgeber jedoch bereits dann, wenn er – wie hier – dem Betriebsrat über das im Betrieb vorhandene Informations- und Kommunikationssystems einen Telefonanschluss einrichtet sowie einen Internetzugang und E-Mail-Verkehr über ein für alle Arbeitsplätze des Unternehmens einheitlich genutztes Netzwerk ermöglicht. Die rein „abstrakte Gefahr einer missbräuchlichen Ausnutzung der technischen Kontrollmöglichkeiten durch den Arbeitgeber“ könne jedenfalls keinen Anspruch auf einen separaten Telefon- und Internetzugang begründen.
Tabakrauch am Arbeitsplatz
Arbeitnehmern steht kein Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz zu, wenn das Nichtraucherschutzgesetz eines Bundeslandes das Rauchen in Ausnahmefällen gestattet und der Arbeitgeber je nach Natur des Betriebs und der Art der Beschäftigung hinreichende Maßnahmen ergriffen hat, um die Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch zu reduzieren.
Das entschied das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 10.5. 2016 – 9 AZR 347/1).
In dem Verfahren klagte ein als Croupier angestellter Arbeitnehmer gegen seine Arbeitgeberin, die ein Spielcasino in Hessen betreibt. Durchschnittlich zweimal pro Woche setzte die Beklagte den Kläger für jeweils sechs bis zehn Stunden in einem von den übrigen Räumlichkeiten abgetrennten Raum ein, in dem den Gästen das Rauchen gestattet ist. Der Raucherraum verfügt über eine Klimaanlage sowie eine Be- und Entlüftungsanlage. Mit seiner Klage begehrte der Kläger nunmehr von der Arbeitgeberin, zukünftig ausschließlich an einem tabakrauchfreien Arbeitsplatz beschäftigt zu werden.
Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Die Bundesrichter stellten klar, dass der Kläger nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV zwar grundsätzlich einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz beanspruchen könne. Allerdings gestatte die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 5 Nr. 5 des Hessischen Nichtraucherschutzgesetzes (HessNRSG) der Beklagten, das Rauchen in ihrem Spielcasino zu erlauben. Schutzmaßnahmen für die Arbeitnehmer müsse sie daher nur insoweit treffen, „als die Natur ihres Betriebs und die Art der Beschäftigung dies zulassen“. Die darüber hinaus gebotene Pflicht zur Minimierung der Gesundheitsgefährdung gemäß § 5 Abs. 2 ArbStättV habe die Beklagte erfüllt, indem sie den Raucherbereich baulich abgetrennt, mit einer Be- und Entlüftungsanlage versehen sowie den dortigen Einsatz des Klägers zeitlich begrenzt hat.
Kündigung eines Schwerbehinderten in der Probezeit ohne Präventionsverfahren
Die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ohne ein zuvor durchgeführtes Präventionsverfahren begründet keinen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung gegenüber dem Arbeitgeber.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Urteil vom 21. April 2016 – 8 AZR 402/14).
Die Klägerin war seit dem 1.10.2012 beim beklagten Land als Leiterin der Organisationseinheit Qualitätsmanagement/Controlling des Landeskriminalamts (LKA) beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis der mit einem Grad von 50 schwerbehinderten Klägerin war eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. Mit Ablauf der Probezeit wurde der Klägerin gekündigt. Eine Kündigungsschutzklage erhob sie nicht. Nunmehr verlangte sie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Das beklagte Land habe es versäumt, das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Da ihr dies die Möglichkeit zur Behebung eventueller behinderungsbedingter Fehlleistungen verwehrt habe, sei sie wegen ihrer Behinderung diskriminiert worden.
Dies verneinten die Bundesrichter – wie auch bereits die Vorinstanzen. Der Arbeitgeber müsse nicht schon während der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses (Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG) ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchführen. Im Übrigen stelle das Präventionsverfahren, wie von der Klägerin vertreten, auch keine „angemessene Vorkehrung“ im Sinne von Art. 2 UN-BRK (UN-Behindertenrechtskonvention) und des Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG dar. Ein Anspruch gegen das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung bestehe daher nicht.
Vergabe von Abfindungen nach dem „Windhundprinzip“
Soll im Rahmen eines Abfindungsprogramms lediglich eine begrenzte Anzahl von Mitarbeitern berücksichtigt werden, kann der Arbeitgeber das Auswahlverfahren grundsätzlich frei gestalten. Demnach ist auch eine Abfindungsvergabe nach dem „Windhundprinzip“ zulässig.
Das entschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 12.04.2016 – 14 Sa 1344/15).
Die beklagte Arbeitgeberin hatte im Zuge eines Stellenabbaus ein sog. „Offenes Abfindungsprogramm“ ausgearbeitet. Danach konnten sich diejenigen Mitarbeiter, die sich gegen Zahlung einer Abfindung für eine Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses interessierten, per E-Mail bei ihr melden. Bei mehr Interessenten als abzubauende Stellen, sollte sich die Auswahl der abzufindenden Arbeitnehmer nach dem zeitlichen Eingang ihrer E-Mail richten. Der im IT-Bereich der Arbeitgeberin beschäftigte Kläger hatte sich für die Teilnahme am Abfindungsprogramm entschieden. Der Eingang seiner E-Mail wurde ihm für 13:07:53:560 Uhr bestätigt. Jedoch informierte ihn die Beklagte daraufhin, seine Erklärung sei zu spät eingetroffen. Der letzte freie Platz im Abbaukontingent sei bereits um 13:01:09:603 Uhr vergeben worden, er könne daher nicht mehr berücksichtigt werden. Mit seiner Klage begehrte der Kläger nunmehr den Abschluss eines Aufhebungsvertrages sowie die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 298.777 Euro – ohne Erfolg.
Nach Auffassung der Richter sei die Ausgestaltung des Abfindungsprogramms der Beklagten rechtlich zulässig. Der Arbeitgeber könne grundsätzlich frei entscheiden, wie die Auswahl im Rahmen eines Abfindungsprogramms vorgenommen werden soll, da kein Anspruch auf ein Ausscheiden gegen Zahlung einer Abfindung bestehe. Dies gelte auch dann, wenn die Auswahl der ausscheidenden Mitarbeiter nach dem zeitlichen Eingang ihrer Teilnahmemeldung erfolge und dabei „durch das Abstellen auf Millisekunden die exakte Eingangszeit nach menschlichem Ermessen nicht bis ins Letzte zu beeinflussen ist“.
Konzept „60+“ für Führungskräfte ist keine Altersdiskriminierung
Es ist keine Altersdiskriminierung, wenn der Arbeitgeber seinen leitenden Führungskräften anbietet, das Arbeitsverhältnis entgegen vorheriger arbeitsvertraglicher Regelungen und gegen Zahlung eines Kapitalbetrags bereits mit Ablauf des 60. Lebensjahres zu beenden.
Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Urteil vom 17.3. 2016 – 8 AZR 677/14).
Der im Jahr 1952 geborene Kläger war seit 1985, zuletzt als leitende Führungskraft, für das beklagte Unternehmen tätig. Nach seinem Arbeitsvertrag sollte das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 65. Lebensjahres enden. Als die Beklagte 2003 das Konzept „60+“ für ihre leitenden Führungskräfte einführte, nahm der Kläger ein entsprechendes Angebot der Arbeitgeberin an. Durch Abänderung seines Arbeitsvertrages sollte sein Arbeitsverhältnis, u. a. gegen Zahlung eines Kapitalbetrags, nunmehr bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres beendet werden. Nachdem der Kläger Ende Oktober 2012 aus dem Unternehmen ausgeschieden war, wurde das Konzept „60+“ vom Konzept „62+“ abgelöst, das allen leitenden Führungskräften angeboten wurde, die einen Vertrag auf Basis des Konzepts „60+“ hatten. In dem Verfahren machte der Kläger geltend, er sei wegen seines Alters benachteiligt worden, sowohl aufgrund der Befristung seines Arbeitsverhältnisses als auch dadurch, dass die Arbeitgeberin ihm kein Angebot auf der Grundlage des Konzepts „62+“ unterbreitet habe.
Seine Klage auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wurde jedoch in allen Instanzen abgewiesen. Als Begründung führten die Bundesrichter an, der Kläger habe keine weniger günstige Behandlung erfahren, als eine andere Person in vergleichbarer Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 3 Abs. 1 AGG). Insbesondere habe die Arbeitgeberin dem Kläger lediglich ein Angebot unterbreitet, das er auch hätte ablehnen können. Eine Altersdiskriminierung ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte ihm kein Angebot auf Basis des Konzepts „62+“ gemacht habe, da sein Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Umstellung auf das Konzept „62+“ bereits beendet war.
Verharmlosung des Totalverlustrisikos im Anlageberatungsgespräch
Die Verharmlosung der im Emissionsprospekt dargestellten Risiken während einer mündlichen Anlageberatung, die dazu führt, dass der Anleger einer falschen Vorstellung von deren Ausmaß und Erheblichkeit unterliegt, stellt eine Beratungspflichtverletzung dar. Ein bei einer Anlage vorhandenes Totalverlustrisiko wird etwa dadurch verharmlost, wenn der Anlageberater wahrheitswidrig äußert, ein solches Risiko treffe jede Anlage, müsse folglich stets in Kauf genommen werden.
Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. entschieden (Urteil v. 18.3.2016 – 13 U 55/14).
Der Kläger hatte sich als Kommanditist an einer GmbH & Co. KG beteiligt. Hierfür hatte er insgesamt 11.820 € aufgewendet. Der Beteiligung war ein Beratungsgespräch mit der als Anlageberaterin tätigen Beklagten vorausgegangen. In diesem Gespräch hatte der Kläger, der lediglich über geringes Vermögen sowie ein monatliches Nettoeinkommen von 1.400 € verfügte, die Beklagte darüber informiert, dass er bereits bei einer anderen Anlage Geldverluste erlitten habe und dies nicht nochmals erleben wolle. Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, eine zu 100 Prozent sichere Anlage existiere nicht. „Das Risiko des Totalverlusts stehe im Prospekt deutlich drin; es könne gut gehen, es könne aber auch schief gehen.“
Die Richter gaben der Klage auf Schadensersatz i.H.v. 11.820 € gemäß §§ 280, 278 BGB, anders als die Vorinstanz, statt. Die Beklagte habe die Verpflichtung zur anleger- und objektgerechten Beratung schuldhaft verletzt. Der Kläger habe im Beratungsgespräch hinreichend deutlich gemacht, dass er das eingesetzte Kapital unter keinen Umständen verlieren wolle. Die von der Beklagten empfohlene Anlage sei daher offensichtlich nicht für einen derart sicherheitsorientierten Anleger geeignet gewesen. Auch habe die Beklagte das im Emissionsprospekt dargestellte Risiko des Totalverlustes verharmlost, indem sie wahrheitswidrig den Anschein erweckt habe, ein solches Risiko treffe jede Anlage gleichermaßen, müsse also bei einer Anlageentscheidung immer einkalkuliert werden.
BGH äußert sich zu Prüfpflichten des Betreibers eines Ärztebewertungsportals
Wird die anonym abgegebene negative Bewertung eines Arztes auf einem Ärztebewertungsportal von diesem beanstandet, so hat der Betreiber des Portals im Rahmen seiner Prüfpflichten von dem Bewertenden genauere Angaben sowie Unterlagen zur angeblichen Behandlung abzufordern.
Das entschied der Bundesgerichtshof (Urteil v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15).
Die Beklagte ist Betreiberin des Ärztebewertungsportals „jameda“. Das Portal bietet registrierten Nutzern, ohne dass diese ihren Klarnamen angeben müssen, die Möglichkeit, die Tätigkeit von Ärzten zu kommentieren und anhand einer Notenskala von 1 bis 6 zu bewerten. Der klagende Zahnarzt war durch einen anonymen Nutzer negativ bewertet worden. U. a. erhielt er in den Bewertungskategorien „Behandlung“, „Aufklärung“ und „Vertrauensverhältnis“ die Note 6 mit der zusätzlichen Anmerkung, er könne als Arzt nicht empfohlen werden. Nachdem sich der Kläger erfolglos um die Entfernung dieser Bewertung bemüht hatte, erhob er Klage. Er bestreitet, den Nutzer überhaupt behandelt zu haben und verlangt von der Beklagten, dessen Bewertung zu löschen.
Das Landgericht gab der Klage statt, das Oberlandesgericht wies sie auf die Berufung der Beklagten ab. Diese Entscheidung hoben die Bundesrichter nunmehr auf und verwiesen das Verfahren an das Berufungsgericht zurück. Die Beklagte hafte für auf ihrem Portal veröffentlichte Bewertungen dann, wenn sie ihr zumutbare Prüfungspflichten verletzt, wobei sich diese stets nach den Umständen des Einzelfalles richten würden. Diesbezüglich sei jedoch mit dem Betrieb eines Bewertungsportals regelmäßig ein höheres Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen verbunden als bei anderen Portalen, insbesondere wenn Bewertungen dort anonym oder pseudonym abgegeben werden könnten. Die Beklagte hätte die Beanstandung des Klägers daher an ihren Nutzer weiterleiten und von diesem genauere Angaben sowie den angeblichen Behandlungskontakt belegende Unterlagen abfordern müssen. Auch hätte die Beklagte dem Kläger diejenigen Informationen und Unterlagen zur Verfügung stellen müssen, die sie ohne Verstoß gegen § 12 Abs. 1 TMG habe herausgeben können.